Wilde Wege, stille Dörfer - Bericht Etappen 1-12
Meine Frau und ich waren vom 13. - 31. August 2021 in den Abruzzen unterwegs und haben die Etappen 1-12 (Amatrice bis Scanno) plus einige Zusatzetappen begangen. Uns haben Land und Leute sehr gut gefallen, so dass wir die Wanderung gerne nächstes Jahr fortsetzen wollen. Hier die
wichtigsten Infos vorab:
Wegfindung war durch die Bank kein Problem (bis auf kleine Abschnitte im Wald auf der ersten Etappe ab Amatrice). Ich hatte die hier im Board angebotenen GPS-Tracks von 2019 mit den
Original-GPS-Punkten von Christoph Hennig verwendet und sie zuvor am PC bereinigt: einige Stellen, wo sich die Wanderer damals verlaufen hatten, wurden vorsorglich entfernt! Damit kamen wir
sehr gut durch. Teilweise gibt es mittlerweile bessere und markierte Wander- oder Pilgerwege, denen wir dann abschnittsweise den Vorzug vor dem Track gaben. Meine neu aufgezeichneten GPSTracks stelle ich gerne interessierten Wanderern zur Verfügung. Einfach eine Boardmail an mich mit Ihrer Mailadresse.
Vor allem in den Nationalparks gibt es mittlerweile viele neue Wegschilder und Markierungen. Das heißt aber nicht, dass auch die Wege immer entsprechend gepflegt werden! Viele Wege waren durch Unwetter beschädigt, wobei oft die ehemalige Wegführung noch gut zu erkennen war. Im Wald werden auf den Wegen heruntergefallene Äste oder umgestürzte Bäume wohl eher selten wieder aus dem Weg geräumt.
Die Unterkünfte hatte ich alle zwei Monate im Voraus reserviert, um gerade in der Zeit um Ferragosto keine bösen Überraschungen zu erleben. Schließlich ist da ganz Italien auf den Beinen! Keine Übernachtungsmöglichkeit konnten wir in Amatrice (Agriturismo bereits ausgebucht) und am Passo San Leonardo (derzeit komplett geschlossen, auch das Restaurant!) finden. Da mussten wir auf Rieti plus Busfahrt nach Amatrice am nächsten Tag und auf Pacentro ausweichen. Im Vergleich zur GTA sind die Unterkünfte nahezu durchwegs erheblich komfortabler und DZ mit eigenem Bad eher die Regel. Nicht einmal ein Hüttenschlafsack muss mitgenommen werden. Selbst im relativ primitiven Ostello lo Zio auf dem Campo Imperatore gibt es Bettwäsche, funktionierende Duschen und Steckdosen sowie WLAN. Kreditkartenzahlung ist mittlerweile, wenn ich es richtig gesehen habe, nahezu überall möglich. Bargeld wird aber auch gerne genommen. Mein Eindruck war, dass bei
Bargeldzahlung häufiger die Getränke einfach gleich im Gesamtbetrag der Halbpension eingeschlossen waren, während sie bei Kartenzahlung einzeln aufgelistet wurden. Das kann aber auch Zufall gewesen sein.
Die Etappen weisen im Vergleich zur GTA, die wir in ganzer Länge begangen haben, im Schnitt deutlich weniger Höhenmeter auf, sind aber von den Kilometern her häufig etwas länger, was sich in etwa ausgleicht. Wir kamen in 15 Wandertagen auf insgesamt fast 250 km bei ca. 10500 Höhenmetern.
Die Bardichte und das Vorhandensein von Lebensmittelläden ist hier erheblich höher als auf der GTA, was das Wandererleben vereinfacht!
Mit dem Wetter hatten wir großes Glück: Die große Hitzewelle in Italien war glücklicherweise gerade etwas am Abklingen, als wir die Wanderung begannen. Geregnet hat es wenn am späten Nachmittag oder nachts. Am Campo Imperatore gab es einmal um 16 Uhr ein heftiges Gewitter, das aber angekündigt war. So waren wir längst wieder von unserer Tour zurück. Ansonsten war nahezu jeden Tag am Morgen strahlend blauer Himmel und gegen Mittag kamen dann einzelne Wolken auf.
Hilfreiche Apps: Zugauskunft Italien: Trenit! , problemlose und schnelle Buchung von Zugtickets in Italien: Trainline, Busauskunft und Ticketbuchung: TUAbruzza, Busauskunft Latium: BusCotral.
Als Hintergrundkarten für mein GARMIN-Etrex 30 habe ich folgende verwendet: otm-italy (kostenlos erhältlich, keine Höhenlinien und Landschaftshintergrund teilweise etwas dürftig, dafür ist jedes noch so kleine Wegchen eingezeichnet…) und TrekMap Italia v6 PRO, Abruzzo (kostenlos bei GARMIN. Der Landschaftshintergrund inklusive Höhenlinien wird sehr gut angezeigt, dafür fehlen offensichtlich viele kleine Wege in der Karte)
Blumenfreunde sollten nach Möglichkeit lieber früher im Jahr in die Abruzzen fahren: nach der Hitzewelle war von den vielen Orchideenarten kaum mehr etwas zu sehen. Gesehen und teilweise bei den Querfeldein-Abschnitten an den Wadeln gespürt haben wir viele verschiedene Distelarten, dazu viele Alpenveilchen in den Flusstälern. Frische Feigen und Mirabellen wuchsen uns dafür in den tief eingeschnittenen Tälern teilweise direkt in den Mund.
Kosten: Zuzüglich An- und Abreise haben wir mit allen Einkäufen, Bar- und Restaurantbesuchen, Unterkünften mit Halbpension usw. pro Tag und Person ca. 77.- € benötigt.
Das Rucksackgewicht hatten wir wie immer so weit wie möglich reduziert. Ohne Proviant und Wasser wog der Rucksack meiner Frau etwas unter 6 und meiner etwas unter 7 kg. Bei heißem Wetter mussten wir aber häufig bis zu 2 l Wasser mitnehmen, da viele im Führer beschriebene Wasserstellen im Sommer keinerlei Wasser mehr führten.
Probleme mit Hunden hatten wir nur selten: Kurz vor Sulmona stürzten einmal drei große Hirtenhunde auf uns zu. Das beschriebene Hochheben eines Steines ohne zu Werfen hat aber wunderbar geholfen! Problem sind in manchen Gegenden mittlerweile die vielen Straßenhunde. Vielleicht noch verschärft durch die Corona-Krise lassen wohl einige Italiener einfach ihre Hunde irgendwo frei und fahren dann weg. Die Hunde ohne Halsband und Hundemarke müssen sich dann irgendwie alleine durchschlagen. Ein solcher Hund, der aber offensichtlich sehr gut erzogen war, hat uns einmal eine ganze Etappe lang treu begleitet.
Anbei unserer Eindrücke:
Tag 01, 13. 8. 2021, Freitag – Zugfahrt Karlsruhe - Rom.
Bis Milano geht die Anreise über Basel und Lugano ohne Probleme. Der Direktzug nach Rom von ITALO rast zuerst noch mit 300 km/h durch die Poebene. Knapp eine Stunde vor Rom bleibt er aber unerwartet stehen und steht und steht. Danach bewegt er sich falls überhaupt nur noch im Schritttempo. Nach langem Warten müssen wir dann am Bahnhof Chiusi in einen Ersatzzug umsteigen, in dem dann zu unserer Verwunderung alle wieder genau im gleichen Wagen ihre reservierten Plätze einnehmen müssen. Die Italiener bleiben erstaunlich gelassen bei dem ganzen Spektakel. Mit gut drei Stunden Verspätung kommen wir dann endlich in Rom an. Zum Glück haben wir genug Verpflegung und Trinken dabei. Das Essengehen wird heute Abend gestrichen!
Übernachtung nahe Roma Termini im B&B „Roma sogno infinito“. Wir beenden diesen „unendlichen Traum“ in einem sehr kleinen Zimmer mit nicht vernünftig regelbarer Klimaanlage in einer drückend heißen Stadt gerne am nächsten Morgen schnell wieder… Das Zimmer im gleichen B&B auf der Rückfahrt war übrigens um Klassen besser. Lediglich die Dusche erzeugte da nur ein leichtes Tröpfelbad.
Tag 02, 14.08.2021, Samstag - Anfahrt per Bahn: Rom - Rieti
Der Zug nach Terni fährt in Roma Termini auf Gleis 1 Est ab – eine unerwartet lange Wanderung durch den gesamten Bahnhof! Wir sind aber zum Glück rechtzeitig genug da, dass wir es vor Abfahrt des Zuges schaffen. In Terni bummeln wir eine Stunde durch das hübsche Städtchen, bevor uns ein kleiner Schienenbus mittags auf einer abenteuerlichen Bahnstrecke dann auf die Hochebene nach Rieti bringt, dem „Nabel Italiens“. Uns hat der ruhige Ort mit seinen Sehenswürdigkeiten und der selbst im August beschaulichen Atmosphäre sehr gut gefallen. Wir schlendern durch die kleinen Gassen, essen hervorragendes Eis, besorgen uns am Bahnhof im Tabacchi bereits die Bustickets für morgen und gehen abends zum Auftakt im mittlerweile innen neu renovierten „Checco al Calice d´Oro“ fürstlich speisen. Allein schon die hausgemachten Ravioli mit Steinpilz Ricottafüllung und reichlich Trüffelspähnen oben drauf sind ein Gedicht! Die Übernachtung im Hotel Europa mit sehr großen, schönen Zimmern und für Italien erstaunlich vielfältigem Frühstücksbuffet ist kein geringerer Genuss. So kann es weiter gehen!
Tag 03, 15.08.2021, Sonntag: Bus Rieti-Amatrice um 9:00 Uhr
Etappe 1: Amatrice – Campotosto - Hotel Serena (am See), 772 m Aufstieg, 386 m Abstieg, 20,5 km, Gesamtzeit 07:12 Stunden
Da der Bus nach Amatrice alle Dörfer unterwegs anfährt, dauert es zwei Stunden, bis wir am Ziel sind und unsere Wanderung (bei nun schon fast 30 Grad) beginnen können. Amatrice ist nach wie vor nach dem Erdbeben von 2016 komplett zerstört und das Ortszentrum in Form von provisorischen Bauten an den Rand verlagert. Erstaunlich, dass dort an einem Feiertag wie Ferragosto trotzdem unzählige Leute unterwegs sind und dichtes Gedränge herrscht! Wir durchqueren den Ort und folgen beim Wegweiser „Villa San Cipriano 993m“ an der Straße wie hier im Board beschrieben nicht dem Schild nach Campotosto entlang der Teerstraße, sondern biegen nach rechts in den Wald hoch ab (CAI 363). Stellenweise ist die alte Mulatteria durch Unwetter stark beschädigt, aber die Wegspur ist gut erkennbar. Beim Wegweiser „Fontusci 1364m“ machen wir Rast. Von hier aus weisen zwei neue Schilder nach Campotosto in verschiedene Richtungen. Der in Gehrichtung rechts abzweigende Weg, den wir zuerst versuchen, endet leider relativ bald und die Wegspur verliert sich irgendwo im Gras. Deshalb gehen wir zurück und laufen in Gehrichtung geradeaus den CAI 362 weiter, dem auch der Track folgt. Im Wald ist der Weg häufig durch zahlreiche umgestürzte Bäume versperrt, die man aber
umgehen kann. Schwieriger wird es dann auf der folgenden Waldlichtung, wo wir laut Wegbeschreibung und Track kurz vor Ende der Lichtung rechts in den Wald abbiegen sollen. Dieser Weg existiert leider nicht mehr! Wir schlagen uns irgendwie in Trackrichtung durch das Dickicht, was zeitraubend und mühsam ist, bis wir wieder auf die Wiesen kommen, wo der Wegverlauf dann klar ist. Erst zuhause sehe ich bei der Auswertung des GPS-Tracks, dass wir auf der Waldlichtung auch einfach am Ende links am Waldrand entlang hätten laufen können. Dann rechts am Waldrand weiter, wodurch
sich das Waldstück unschwer auf der anderen Seite hätte umgehen lassen können. Dafür wäre aber auch ein kleiner Wegweiser auf der Lichtung hilfreich gewesen…
Die Laga-Berge, auf die wir morgen wollen, liegen nun ganz frei vor uns. Bald kommt schon der See in Sicht und allmählich auch die ersten Berge des Gran Sasso. Im ebenfalls durch das Erdbeben in Teilen stark zerstörten Campotosto finden wir die ersehnte Bar nicht, weil wir sie wieder nur im alten Ortszentrum vermuten. Wir folgen den Wanderzeichen und später einem schönen Spazierweg mit vielen Bänken zum See. Das Stück am See entlang bis zum Hotel Serena zieht sich ordentlich. Irgendjemand hatte im Board einmal etwas von 3 km ab Campotosto geschrieben, was leider falsch ist: In jedem Fall sind es – ob an der Straße oder am See entlang – noch ganze 6 km von Campotosto aus. Für einen ersten Wandertag fast etwas viel, noch dazu, wenn die Wanderung erst um 11 Uhr beginnen kann. Den Versuch, im Hotel anzurufen, ob uns jemand abholen kann, unterlassen wir an einem Tag wie Ferragosto wohlweißlich. Gegen 18 Uhr sind wir da: In der Bar ist die Hölle los mit gefühlten 200 Bikern und 150 Wohnmobilfahrern. Entlang des Sees gibt es ganze Zeltstädte mit großen Kühlschränken und eigenem Stromgenerator. Erst am Abend beruhigt sich die Lage etwas. Unter den nur knapp 12 Gästen, die hier übernachten, sind wir die einzigen Nichtitaliener. Das Essen ist hervorragend und reichhaltig. Unsere Wirtin zählt jeweils am Tisch kurz auf, was es bei den einzelnen Gängen zur Auswahl gibt. Leider verstehen wir das mit Maske nicht immer so wirklich, weshalb wir höflich darum bitten, doch beim Essenaufzählen kurz die Maske abzunehmen. So klappt es mit der Auswahl deutlich besser und zu unserer Beruhigung machen die Norditaliener am Nebentisch genau das gleiche, da sie auch nicht alles verstehen können. Die Zimmer im Nebenhaus sind einfach aber ganz gemütlich. Nur das Bad ist etwas gewöhnungsbedürftig, da die Dusche ohne Duschwanne direkt neben und über dem WC zwar gut funktioniert, aber sofort das gesamte Badezimmer unter Wasser setzt.
Tag 04, 16.08.2021, Montag:
Etappe 1+: Campotosto: Wanderung auf die Laga-Berge zur Punta Sciacallo (2269m), 997 m Aufstieg, 1030 m Abstieg,
18,1 km, Gesamtzeit 08:25
Bereits um 7 Uhr macht die Bar auf, wo wir auch unser italienisches Frühstück bekommen. Die Wirtin weiß schon, dass ein Cornetto und ein kleiner Cappuccino vielen Wanderern zu wenig ist und bietet von sich aus an, dass wir gerne auch noch ein zweites Cornetto und einen zweiten Café bekommen können. Der Himmel ist heute morgens bewölkt, aber die Laga-Berge sind alle frei. Gerne würden wir da heute mit kleinem Gepäck von Campotosto aus hin, wenn nur diese 6 km hin und dann nochmals zurück nicht wären… Wir fragen vorsichtig, ob uns eventuell jemand nach Campotosto bringen könnte. Aber unsere Wirtin hat alleine gerade alle Hände voll zu tun in der Bar. Vielleicht in einer Stunde könnte uns jemand fahren. Also versuchen wir es per Autostop, obwohl so früh nach dem Feiertag noch kaum Autos unterwegs sind. Aber sofort das erste Auto hält: ein wanderbegeisterter Italiener, der seinen Vater in Campotosto besuchen will und hier von Kind auf alle Wanderwege in der Umgebung kennt. Was haben wir für ein Glück!
Der Weg bis zur Sella della Laghetta und zur nahen Quelle „Pane e Cacio“ ist mittlerweile bestens markiert und problemlos zu finden. Heute sind wir auch längst nicht die einzigen, die hier unterwegs sind: Wir treffen ganze Trupps von Heidelbeersammlern, einige sportliche „Rennitaliener“ und
offensichtlich etwas naive Spaziergänger, die nachmittags in der größten Mittagshitze mal schnell hoch zur Quelle wollen, aber keine Ahnung von den 600 Höhenmetern bis dahin haben… Wir genießen den schönen Weg, die tolle Aussicht auf den See und die Berge, den bewölkten Himmel am
Morgen, der den Aufstieg deutlich erträglicher macht als gestern. Oben an der Sella della Laghetta liegen die Wegweiser nutzlos am Boden. Wir finden aber unschwer den Weg nach Norden auf den Kamm. Aufgrund des Wetterumschwungs weht auf dem Kamm so ein starker Wind, an den man sich buchstäblich anlehnen kann, dass wir es mit der Aussicht von der Punta Sciacallo (2269m)
bewenden lassen und nicht auf dem Kamm weitergehen zur nahen Cima della Laghetta.
Ab Mittag brennt die Sonne wieder vom Himmel, was den Rückweg etwas schweißtreibender macht.
In Campotosto finden wir heute die Bar im etwas ausgelagerten neuen Ortszentrum. Hier ist wieder die Hölle los. Wir versuchen eine Unterhaltung mit einigen älteren Herrn, deren Dialekt und
Aussprache mit nur noch wenigen Zähnen im Mund wir aber so wenig verstehen, dass wir schnell am Ende sind. Am Nebentisch gibt es einen ganzen Trupp von wandernden Italienern, die mit einem
italienischen Wanderführer in der Hand (der Titel war in etwa „Wandern in den Erdbebengebieten“) offensichtlich von L´Aquila bis Amatrice unterwegs sind. Das Zurücktrampen zum Hotel am See gestaltet sich etwas schwierig. Erst für die letzten zwei Kilometer nimmt uns ein Wohnmobil mit einem wanderfreudigen Paar aus Norditalien mit.
Tag 05, 17.08.2021, Dienstag:
Etappe 2: Hotel Serena - Paladini, 242 m Anstieg, 768 m Abstieg, 10,5 km, Gesamtzeit
04:06
Der Himmel ist strahlend blau und der See ebenso, als wir kurz nach dem Frühstück in der Bar um 7:00 Uhr in morgendlicher Kühle aufbrechen. Eine wunderschöne und heute ziemlich kurze Etappe (von Campotosto aus wäre sie deutlich länger) durch Buchenwald und Heidelandschaft. Leckere Brombeeren am Weg bessern das kärgliche italienische Frühstück etwas auf. Heute begegnen wir nur einem alten Herrn, der mit Hund am See entlang von der Bar in Campotosto zur Bar im „La Serena“ und wieder zurück wandert. Eine ganze Eselfamilie beschnuppert uns kurz vor Tottea neugierig. Obwohl wir noch gar nicht weit gewandert sind, machen wir in einer Bar in Tottea kurz Pause. Der im Buch beschriebene „wunderbare Abstieg zu einem wunderbaren Abendessen“ hält exakt, was er verspricht. Da wir aber schon am Mittag am Ziel in der Locanda dal Cervo sind, wo es unverschämt gut
nach geschmorten Steinpilzen duftet, und die Etappe morgen ja ziemlich lange wird, entschließen wir uns, auch das Pranzo gleich noch mitzunehmen. Eine gute Entscheidung! Der Grillteller ist übrigens immer noch exzellent, die Zimmer sind groß und das ganze Forsthaus ist sehr schön hergerichtet. Ein wundervoller Übernachtungsort!
Eine kleine Episode noch, die wir mittags am Tisch nebenan mit großem Schmunzeln beobachtet haben: Eine italienische Großfamilie mit ca. 12 Leuten kommt zum Essen. Bevor sich alle setzen, wird zuerst einmal diskutiert: Hier sitzt die Nonna, dort die, daneben der… Aber irgendjemand ist immer nicht zufrieden und die Sitzordnung wird insgesamt dreimal nochmals komplett umgestellt und neu diskutiert. Nach gut 20 Minuten sitzen dann alle und es kann bestellt werden.
Tag 06, 18.08.2021, Mittwoch
Etappe 3: Paladini - Pietracamela, 1081 m Aufstieg, 863 m Abstieg, 22,3 km, Gesamtzeit 08:20
Eine lange Etappe durch den Wald, vor der wir gehörigen Respekt haben. In Nerito kaufen wir kurz Proviant nach. Die Wegfindung ist mit dem GPS-Track kein Problem. Wanderschilder hängen heute stellenweise etwas auf Halbmast, aber die Wege sind gut zu gehen. Zu Beginn regnet es ein wenig, so dass wir erstmals unser Regenzeug benötigen. Aber so ist die Temperatur gut auszuhalten und die langen Streckenabschnitte durch den Wald sind abwechslungsreicher als vermutet. In Prato Selva machen wir – wieder mit Sonne - Mittagspause am Skilift. Ob hier im Winter noch etwas los ist? Im
Hochsommer ist alles dicht und der Ort macht keinen besseren Eindruck als das schon im Graben liegende Ortsschild. Als der Track später scharf nach links abwärts abzweigt, sind wir dankbar für die Trackspur, da sich die Wegspur in dem teils durch Unwetter stark ausgewaschenen Heidegelände immer wieder verliert. Die Wacholdersträucher sind so voller blauer Beeren, wie ich es sonst
noch nie gesehen habe. Der breite Schotterweg, der am Ende von einem schönen Rastplatz nach Intermesoli hinunterführt, zieht sich etwas und ist mühsam zu gehen. Beim Ristorante-Bar Venacquaro bekommen wir nur widerwillig ein Lemonsoda zu trinken mit der sonderbaren Begründung, sie seien ein Restaurant. Der Weg hoch nach Pietracamela, das man hin und wieder schon zwischen den Bäumen durchschimmern sieht, macht wieder Spaß: Ein malerischer Ort in herrlicher Lage, der uns ganz besonders gut gefallen hat. In der Antica Locanda werden wir bestens versorgt und genießen zuerst einmal das Bier nach dieser langen Etappe.
Das Abendmenü ist ein Genuss, wenngleich ich mich bei der Speisekarte frage, was eigentlich Vegetarier in dieser Region essen. Als Primo wähle ich den „Tris“: Dreierlei Pasta: Timballino, Chitarra Porcini (bisher kannte ich „Chitarra“ nur als Musikinstrument, aber wenn man die dünnen Saiten auch essen kann…) und Ravioli al Carne.
Tag 07, 19.08.2021, Donnerstag
Etappe 4: Pietracamela - Ostello lo Zio, 1435 m Anstieg, 351 m Abstieg, 14 km, Gesamtzeit 06:50
Der Tag fängt gut an mit Morgenrot auf den Bergen und einem unerwartet guten Frühstück mit etwas Käse und Schinken, Joghurt, Fruchtsaft usw. Dann geht es gleich hinter Pietracamela steil den Berg hinauf und unerwartet früh kommt das Gran-Sasso-Massiv in den Blick, dem wir uns schnell nähern. Wir passieren Prati di Tivo mit seinen weithin als Bausünden sichtbaren Hotels. Ab hier wird es deutlich voller: eine ganze italienische Reisegruppe ist mit einem Führer unterwegs und blockiert den Wanderweg. Manche tragen FFP2-Masken mitten in der Natur!! Wir werden wie Mondkälber bestaunt, als wir mit unseren Rucksäcken vorbeiziehen.
Auf dem weiteren Weg durch das Val Maone hoch staunen wir nicht schlecht, wie viele Wanderer hier unterwegs sind. In dieser Region sind offensichtlich alle! Nun sind wir über der Baumgrenze, die hier im Süden weit höher liegt als in den Alpen. Die Hochgebirgslandschaft wird immer beeindruckender. Das Rifugio Garibaldi ist geschlossen. Trotzdem sind unzählige Leute da! Bis auf 2300 m führt heute unser Weg hoch. Dann öffnet sich der Blick auf die gigantische Hochfläche des Campo Imperatore. Nur noch ein kleiner Abstieg und wir sind unten an der Seilbahnstation und beim Ostello lo Zio, wo wir zwei
Nächte bleiben werden.
Hier herrscht absolute Volksfeststimmung. Es läuft Westernmusik (passend zu vielen hier gedrehten Filmen). An den Tischen sitzen dicht gedrängt unzählige Leute, trinken Bier und essen die unvermeidlichen Arrosticini (gegrillte Lammspießchen), deren Geruch hier überall in der Luft liegt. Wo sind wir hier gelandet? Das alte Hotel nebenan ist längst verblichen und scheint nun dauerhaft geschlossen zu sein. Unser Zimmer ist winzig und außer dem Stockbett mit durchhängenden Matratzen passen wir mit unseren Rucksäcken gerade mal noch zusätzlich rein. Aber die Duschen in den Gemeinschaftsbädern gehen, Steckdosen sind da, WLAN funktioniert – also alle Grundfunktionen sind vorhanden. Und wegen des Essens waren wir zum Glück aus dem Board schon vorgewarnt und sind mit einigen Vorräten ausgestattet.
Abends gibt es ein festes Zwei-Gänge-Menü inklusive eines kleinen Getränks für 12.- € pro Person. Die Qualität lässt wie erwartet zu wünschen übrig: Am ersten Abend kommt eine nahezu salz- und gewürzlose Linsensuppe und ein frittiertes Fertigschnitzel mit einigen Kartoffelecken und wenigen abgezählten Brotscheiben auf den Tisch. Am zweiten Abend gibt es immerhin schmackhafte Nudeln mit Tomatensauce und ein frittiertes Fertigschnitzel mit einigen Salatblättern. Aber Leute kommen ja in so einer Region trotzdem mehr als genug. Wozu sich dann anstrengen? Dafür musste man bei Buchung der Übernachtung bereits 50% im Voraus bezahlen – ohne jegliche Erstattungsmöglichkeit bei Terminänderung etc. Eine andere Möglichkeit hier oben zu übernachten wäre nur Zelten, was viele tatsächlich (z. T. mitten auf dem riesigen Parkplatz) machen. Aber immerhin gibt es Frühstück (italienisch versteht sich) bereits um 6.45 Uhr. So steht es zumindest auf den
Zimmern!
Tag 08, 20.08.2021, Freitag:
Etappe 4+: Gipfeltour Corno grande, 968 m Anstieg, 968 m Abstieg, 13,3 km, Gesamtzeit 08:26.
Alle Wolken sind wieder verschwunden. Die Morgensonne wirft lange Schatten und der Corno Grande liegt ganz frei und zum Greifen nahe vor uns. Ein idealer Tag für eine Gipfelbesteigung und nicht nur wir wollen so früh wie möglich los. Einige Italiener erhielten sogar die Info, Frühstück gäbe es schon um 6:30 Uhr. Leider gibt es lediglich Café. Die Cornetti würden erst in einer Dreiviertelstunde kommen. Da sind sogar die Italiener einmal hörbar sauer! Wir verhandeln etwas und bekommen wenigstens
statt Cornetto dann einen Schokoladen-Riegel. Nach der großartigen Abendverpflegung gestern schaffe ich einen Fast-3000er sicher auch mit einem Bounty im Magen (und reichlich Nüssen im Rucksack…)!
Der Aufstieg bei herrlicher Sicht bis hin zur Adria und dem Lago di Campotosto auf der anderen Seite ist kein großes Problem. Nur die letzten 200 Höhenmeter sind etwas mühsam, da man auf dem gut markierten „Normalweg“ am geneigten Hang großteils auf felsigem Gelände nach oben klettern muss. Im Grunde nicht gefährlich, aber vor allem der Abstieg könnte bei Nässe oder gar Glätte durchaus sehr anspruchsvoll werden. Und 10-15 der teils unzureichend für eine Bergtour ausgerüsteten Italiener verunglücken am Corno Grande wohl jedes Jahr tödlich. Als wir gegen 10 Uhr am Gipfel sind, sehen wir unzählige Leute wie die Ameisen den Berg erklimmen. Und als wir mittags schon lange
wieder auf dem Rückweg sind, fangen viele erst mit der Besteigung an, obwohl für Nachmittag Gewitter in der Region angesagt sind!
Für den Rückweg nehmen wir nicht den direkten Weg hinunter zum Campo Imperatore, sondern machen einen kleinen Umweg über das Rifugio Duca degli Abruzzo, wo wir dank Greenpass (das erste Mal wird er tatsächlich eigescannt!) sogar innen sitzen und zu Mittag essen dürfen. Wir werden äußerst zuvorkommend und höflich bedient, essen bestens gewürzte Linsen- und Graupensuppe, Pasta und leckeren Kuchen. So gestärkt laufen wir noch weiter bis zum Passo della Portella und von dort wieder hinüber zum Campo Imperatore. Die angekündigten heftigen Gewitter gegen 16 Uhr kommen wirklich. Wir sitzen im Trockenen und denken an die, die spät zum Gipfel aufgebrochen sind…
Tag 09, 21.08.2021, Samstag:
Etappe 5: Ostello lo Zio - Castel del Monte, 548 m Anstieg, 1343 m
Abstieg, 21,4km, Gesamtdauer 07:41
Nach den heftigen Regenfällen gestern ist wieder strahlend blauer Himmel. Die Wolken liegen nun in den Tälern weit unter uns, aus denen die Berge wie kleine Inseln hervorragen. In dieser besonderen
Atmosphäre brechen wir (wieder fast ohne Frühstück, da die Cornetti fehlen. Wir können aber zumindest ein kleines Stück Kuchen ergattern) zu einer der beeindruckendsten Etappen auf, die
wir jemals gewandert sind. Kurz hinter der Seilbahnstation am Campo Imperatore sind wir wieder unter uns – so als wenn hier fast nie Wanderer vorbeikommen würden! Die Wege sind großteils neu markiert und selbst wenn hin und wieder einmal keine Wegspur mehr sichtbar ist: die Richtung ist in dem übersichtlichen Gelände eigentlich immer klar.
Die große Weite der Hochebenen, die hier auch „Klein-Tibet“ genannt werden, fasziniert uns vollkommen. Eine derart beeindruckende Landschaft lässt sich weit besser erwandern als
mit dem Auto er-fahren! Unweit der Ruinen des „Campo Nevada“ scheuchen wir fünf Geier auf, die gerade an einem Tierkadaver knabbern. Jenseits der Straße nehmen wir die aussichtsreiche
Variante über die Cima Faiete. Weiter unten passieren wir die Reste eines Zisterzienserklosters aus dem 13. Jahrhundert. Die Mönche haben damals schon hier oben Schafzucht betrieben. Heute bekommen wir hier nur noch selten Schafherden zu Gesicht. Auf der Hochebene unterhalb des Klosters kommen uns vier Wanderer entgegen. Hier muss irgendwo ein Parkplatz in der Nähe
sein – und tatsächlich sind wir bald am Rifugio Racollo unweit der Straße, wo wir Rast machen.
Die vier im Buch beschriebenen Seen sind nach dem glutheißen Sommer nur noch unscheinbare Lachen. Auf der anderen Seite der Straße geht es noch einmal hoch zum Sattel. Ein letzter Blick zurück auf die weiten Hochflächen des Campo Imperatore, über die der Felszahn des Corno grande wie ein Relikt aus alter Zeit emporragt, dann geht es die letzten 5 km bis Castel del Monte
auf einer ziemlich öden Schotterpiste abwärts. Wo es geht kürzen wir größere Kurven und Kehren ab. Bald schon kommt der sehenswerte, lebendige Ort in Sicht: Die Häuser sind großteils neu renoviert oder werden es noch. Wir bummeln durch das hübsche Dorf. Ein alter Mann freut sich, dass uns der Ort so gut gefällt: „Ja, ist schön, hat aber viele Treppen!“
Das Rifugio del Pastore, wo wir übernachten, hat große, ansprechende Zimmer und einen schönen Innenhof, in dem unsere gewaschenen Kleider schnell in der Sonne trocknen. Zum Abendessen gibt es eine sehr schmackhafte Minestrone, u. a. mit Linsen und Kichererbsen, von der ich gerne noch einen zweiten Teller nehme. Mein Glück, denn der nun folgende Gummiadler mit Ofenkartoffeln war entschieden zu lange im Ofen… Aber noch haben wir ja gute Zähne! Nachts zerreißen einige Ragazzi mit ihren Motorrädern die Stille und brausen mit Vollgas über den Corso vor dem Haus. Mir wird bewusst, wie lange wir schon keinen Verkehrslärm mehr gehört haben.